„Sind Sie jetzt den ganzen Tag zuhause?“ In der Frage meines Nachbarn schwingt
unüberhörbarer Neid mit. Ich bejahe die Frage. „Und dann machen sie nur den ganzen Tag den
Garten?“ Zu diesem Zeitpunkt ist es halb zwei. Kurz wäge ich ab, wie ich nun antworten soll, ein
einfaches „Nein“ wäre unhöflich, ein „Ja“ eine Lüge und die Wahrheit über alle Dinge, die gerade
zu erledigen sind eindeutig zu lang. „Naja, ich habe schon mehrere Stunden am Tag etwas zu tun,
Aufgaben stellen, Mails beantworten und Gespräche mit Kollegen.“ Diese unverbindliche Antwort
reicht ihm anscheinend und er wechselt das Thema: „Wie wird das nur mit Corona?“ Während er
Ideen diskutiert, schweifen meine Gedanken ab zum vorherigen Thema.
Lehrer in Zeiten von Corona, was macht man da eigentlich? Gefühlt mache ich nichts anderes als
die Schüler, nur dass mir niemand einen Stundenplan geschickt hat, um meinen Tag zu
strukturieren, das ist im Vergleich zum sonst so geordneten Schulalltag eine echte Umstellung!
Aufgaben bekomme ich aber genauso wie die SchülerInnen per Mail. Morgens geht das schon
los, da immer einige Schüler wach zu sein scheinen und sich dann mit Schule beschäftigen,
warten schon morgens um 6:00 Uhr mehrere Mails, die im Verlauf der Nacht eingegangen sind.
Diese enthalten neben Fragen auch sehr oft Anhänge mit den bearbeiteten Aufgaben. „Lieber Herr
Stolten, ich habe die Aufgaben bearbeitet und würde mich über eine Rückmeldung freuen.“ Dieser
Satz ist in ähnlicher Form immer da, egal ob es eine Fünftklässlerin oder ein Q1-Schüler ist. Das
Bearbeiten der Mails muss nun schnell gehen, ab 8:00 Uhr fangen die Kollegen an, Mails zu
schreiben und gegen 9:00 Uhr werden die ersten Schüler wieder aktiv. Vor den Ferien nahmen
dann die eingehenden Mails wesentlich schneller zu, als das Abarbeiten funktionierte und es
erklang keine Pausenglocke, die mich erlöste. Das hat sich über die Ferien aber zum Glück
entspannt. Gegen 11:00 Uhr ebben die Mails langsam ab. Die meisten Schüler haben ihren
Stundenplan abgearbeitet und widmen sich jetzt dem Nachmittag. Nach einer Mittagspause
checke ich noch kurz erneut die Mails und finde einige Nachzügler vor, die wohl länger als die
anderen geschlafen haben und daher erst jetzt ihre Ergebnisse schicken. Auch einige Kollegen
schreiben noch, vermutlich sind die auch erst jetzt mit ihren Aufgaben von den Schülern fertig.
Der Nachmittag ist weitestgehend entspannt und bietet Zeit für Erholung, zum Glück ist das
Wetter traumhaft und lässt mich Corona, Schule und vermutlich schon wieder in meinen
Posteingang gekletterte Mails vergessen. Ja, jetzt ist der Nachbar zu Recht neidisch, zumindest
wenn er den Vormittag ignoriert. Später führe ich noch ein Telefongespräch mit einem Schüler, der
mir auf Nachfrage seinen Tag schildert, der meinem erstaunlich ähnlich sieht, nur dass ich kein
Mathe machen muss, ein Glück! Abends kommen dann wieder neue Mails, die mich beim Film
begleiten oder diesen unterbrechen. Den ganzen Tag zuhause? Ja. Frei? Definitiv nicht.
Vermisse ich die Schule? Darauf kann ich nur genauso antworten wie alle SchülerInnen, die ich gefragt habe und auch mit den gleichen Argumenten: JA!
Florian Stolten